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2021 WINTER

Ein Leben voller Wunder

Der katholische Priester Kim Ha-jong, 1957 als Vincenzo Bordo im italienischen Piansano geboren, kam 1990 nach Korea und widmet sich seitdem einem Leben im Dienste der Armen.

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In den letzten 30 Jahren war eine Schürze eine so gut wie tagtägliche Notwendigkeit für Pater Kim Ha-jong. Im spartanischen Büro der Suppenküche Anna’s House in Seongnam, Provinz Gyeonggi-do, hängt ein Bild von Kim Sou-hwan, dem einstigen Erzbischof von Seoul, der von den 1970er bis in die 1980er Jahre die koreanische Demokratiebewegung gegen die Militärdiktatur an vorderster Front anführte.

Während die COVID-19-Pandemie die Welt weiterhin bedroht, verbreitet Pater Kim Ha-jong leise eine ganz andere Art von Virus.

Er definiert „Teilen“ als ein „Virus“, das Menschen mit hochansteckenden viralen Glücksgefühlen infiziert. In Anna’s House, dem von ihm betriebenen Sozialzentrum in der Seouler Satellitenstadt Seongnam, hilft er seinen Nächsten auf verschiedene Art und Weise. Seit Anfang 2020, als die Pandemie in Korea ausbrach, ist eine der direktesten Hilfen die tägliche Zubereitung von Hunderten von Lunchboxen für Arme und Obdachlose.

Seine erste Suppenküche eröffnete Pater Kim Jahre vor der Corona-Pandemie. Die meisten Suppenküchen schlossen mit Inkrafttreten der Beschränkungen hinsichtlich Essen in Innenräumen, aber Pater Kim machte unbeirrt weiter. „Eine Suppenküche kann man nicht einfach schließen, da Mägen keine Ferien machen. Siebzig Prozent derjenigen, die hierher kommen, essen nur eine Mahlzeit pro Tag. Wenn wir ihnen nichts geben, müssen sie hungern“, sagt er.

KOSTENLOSE LUNCHBOXEN
Die Umstellung auf Lunchboxen war nicht leicht. Sie erforderte eine andere Betriebsweise und wegen der Verpackungen entstanden höhere Kosten, mal ganz abgesehen von den coronabedingten Gesundheitsrisiken für alle Beteiligten. Seit Januar 2020 jedoch packt Anna’s House mit Genehmigung der Stadtbehörden ohne größere Probleme täglich etwa 650 bis 750 Lunchpakete ab.

Pater Kim empfindet es als Wunder, jeden Tag Bedürftige speisen zu können. Er erinnert sich daran, dass an einem Tag kaum noch Reis übrig war: „Wir verbrauchen tagtäglich 160 kg Reis. Damals gab es nur noch Reis für zwei Tage. Ich machte mir Sorgen, aber der Koch sagte: ,Jesus wird uns welchen schicken.‘ Am nächsten Tag standen hundert Sack Reis vor der Tür.“

Auf diese Weise spenden Menschen Lebensmittel, Geld, Kleidung, Masken und manches mehr. Viele opfern ihre Zeit, um beim Speisezubereiten, Verpacken, Putzen und Anweisen der für die Lunchboxen Schlange Stehenden zu helfen. Unter den Freiwilligen, die aus allen Gesellschaftsschichten kommen, sind nicht nur Katholiken, sondern auch buddhistische Mönche und Muslime, bekannte Persönlichkeiten, Büroangestellte und Studenten. Es gibt sogar einen Hund namens Louis Vuitton, der die Leute zum Lächeln bringt.

Für die Lunchboxen, die um 15.00 Uhr verteilt werden, kommen die Hilfsbedürftigen aus allen Ecken von Seongnam und sogar aus Seoul. Bei der Übergabe wird jeder einzelne von Pater Kim und den Freiwilligen begrüßt: „Willkommen. Wir lieben dich.“

„Es stimmt, dass wir wegen der Pandemie eine schwere Zeit durchmachen. Aber hier bei uns ist es auch eine Zeit, um das Virus der Liebe und des Teilens zu verbreiten. Es ist eine andere Art, die Pandemie zu durchleben, eine wirklich schöne Art“, erklärt Pater Kim.

ENGAGEMENT FÜR BEDÜRFTIGE
Bereits vor seinem Gymnasialabschluss hatte Vincenzo Bordo, der spätere Pater Kim, beschlossen, Priester zu werden. Nachdem er sein Studium der Orientalischen Philosophie und Religionswissenschaft abgeschlossen hatte, trat er in den Missionsorden Oblaten der Makellosen Jungfrau Maria ein, dessen Schwerpunkt auf dem Dienst an den Armen liegt. Sein Interesse an Asien führte ihn nach Korea und kurz nach seiner Ankunft im Mai 1990 begann er, mit einer Nonne zusammenzuarbeiten, die sich um bedürftige Familien kümmerte.

In seinem 2020 veröffentlichten Buch Ein Moment der Angst, Wunder jeden Tag erinnert sich Pater Kim an einen Wendepunkt im Jahr 1992. Er lernte einen halb gelähmten Mann in seinen Fünfzigern kennen, der allein in einer von Schimmel befallenen Tiefparterrewohnung lebte und darauf angewiesen war, dass ihm die Nachbarn Essen vorbeibrachten. Nachdem sich Pater Kim mit ihm unterhalten und das Zimmer sauber gemacht hatte, umarmte er den Mann mit dessen Erlaubnis, wobei ihm ein solch fauliger Gestank in die Nase stieg, dass er würgen musste. Gleichzeitig ergriff ihn aber ein Gefühl unbeschreiblichen Glücks und Friedens.

Pater Kim wurde bewusst, dass viele Menschen vom Sozialhilfesystem ausgeschlossen waren, weshalb er im Jahr darauf eine Küche für Bedürftige einrichtete. Korea war damals noch ein anderes Land. Er erinnert sich: „Die Leute fragten mich, warum ich Obdachlosen helfe. Sie sagten mir, ich solle das lassen, da sie eh Alkoholiker seien, die nur Ärger machen. So ist das heute nicht mehr. Die koreanische Gesellschaft hat sich wirklich stark verändert.“

Infolge der Asienkriese 1997 verloren viele ihre Existenzgrundlage und wurden obdachlos. Im Folgejahr richtete Pater Kim mit Hilfe eines Wohltäters, dessen Mutter Anna hieß, eine Suppenküche ein, daher der Name „ Annas Haus“. Er begann, tagtäglich außer sonntags kostenlose Mahlzeiten anzubieten.

Viele Jahre wurde die Suppenküche in Räumlichkeiten betrieben, die von der Seongnam Kirche zur Verfügung gestellt wurden. 2018 mussten sie jedoch geräumt werden. Als der Termin näher rückte, wuchs Pater Kims Beklommenheit. Die Beamten der Stadt Seongnam wiesen ihn darauf hin, dass die Baubeschränkungen für das Grüngürtelgebiet auf der Straßenseite gegenüber aufgehoben würden und er dort neue Räumlichkeiten bauen lassen könne. Das war aber keine machbare Lösung, da ihm das Geld für den Kauf des Grundstücks fehlte. „Ich fragte mich, ob das wirklich das Ende sei“, sagt er. „Ich dachte, ich müsste jetzt wirklich aufhören und in Rente gehen.“

EIN NEUES ZUHAUSE
Hilfe kam in Form einer Interviewanfrage. Nach einigem Zögern erklärte sich Pater Kim zu einem Gespräch mit einer – wie er glaubte – Lokalzeitung bereit. Das Interview war jedoch mit dem nationalen Fernsehsender KBS und zwar für dessen beliebte Sendung Ingan Geukjang (Theater der Menschen). Nach der Ausstrahlung des Beitrags über Pater Kim „geschah ein weiteres Wunder“: Es brach eine Spendenflut herein, die sich schnell auf 1,2 Mrd. Won belief – genug, um das Grundstück zu kaufen.

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Pater Kim sagt, dass es die Liebe ist, die ihm die Energie verleiht, den Armen in einem Land zu dienen, das ihm einst fremd war, aber jetzt zur Heimat geworden ist. Jedesmal, wenn er völlig am Ende war, erschien jemand, um Anna’s House vor dem Schließen zu retten. Diese Timing ist seiner Meinung nach der Kraft der Liebe zu verdanken.

Anna’s House öffnete 2018 seine Türen in einem neuen Gebäude. Auch wenn die Suppenküche nach wie vor sein Hauptanliegen war, führten Pater Kims Bemühungen zu einer umfangreichen Liste weiterer, auf Wochenbasis angebotener Dienste wie z. B. medizinische Versorgung, Unterstützung für Wiedereingliederung in die Gesellschaft, Rechtsbeistand und geisteswissenschaftliche Kurse. Weitere Hilfsangebote sind ein Unterschlupf für Obdachlose, Senioren und jugendliche Ausreißer, eine Wohngemeinschaft für Jugendliche sowie ein Hilfsprogramm für Ausreißer und andere schutzbedürftige junge Menschen.

Vor COVID-19 gab es im Rahmen des Outreach-Programms AJIT (Abkürzung für „Aideuleul jikineun Teureok“, wörtlich: Kinder schützender LKW) allabendlich Treffen mit zahlreichen auf den Straßen herumstreifenden Mädchen und Jungen. Die Pandemie brachte zwar viele Aktivitäten zum Erliegen, aber auch heute noch ist Pater Kim ab und zu auf AJIT-Tour, jetzt aber mit einem Bus. „Ajit“ (bzw. Ajiteu) bedeutet soviel wie „Treffpunkt“ oder „Unterschlupf“.

„Wir wollen Hoffnung geben, wollen Samen der Hoffnung in die Herzen der Menschen pflanzen. Aus den Samen können große Bäume werden, es können aber auch taube Samen sein. Aber wir sind dazu berufen, alles in unserer Macht Stehende zu tun“, sagt er.

„Eine Suppenküche kann man nicht schließen, da Mägen keine Ferien machen. Siebzig Prozent derjenigen, die hierherkommen, essen nur eine Mahlzeit pro Tag. Wenn wir ihnen nichts geben, müssen sie hungern.“

DIENER GOTTES
Seit 30 Jahren bindet sich Pater Kim fast jeden Tag eine Kochschürze um. Aber sonntags tauscht er sie gegen Fahrradbekleidung aus, um an den Ufern des Han-Flusses entlang zu radeln und kostbare Momente der Entspannung zu genießen. Auch wenn immer wieder wunderbare Dinge passieren, so ist es doch psychisch anstrengend, sich Tag für Tag so intensiv um andere zu kümmern, ganz abgesehen von der körperlichen Erschöpfung. Als er eines Tages bemerkte, dass sein Herz schneller als normal schlug, ging er zum Arzt, der ihm erklärte, es sei stressbedingt. Für eine Weile musste er auf seinen morgendlichen Espresso, und damit auf sein einziges, noch beibehaltenes italienisches Ritual, verzichten.

Was ist für ihn die Belohnung all seiner harten Mühen, seines Gebens? „Die Arbeit mit den Armen macht mich glücklich. Für mich ist das keine Arbeit. Meine Mission, mein Leben hier besteht darin, diese Menschen willkommen zu heißen, sie zu lieben und ihnen zu helfen“, sagt er. Diese Mission spiegelt sich in seinem koreanischen Namen Ha-jong wider, der „Gottes Diener“ bedeutet. Sein Nachname Kim ist eine Hommage an den Heiligen Andreas Kim Taegon (1821-1846), den ersten in Korea geborenen römisch-katholischen Priester, der während der Joseon-Zeit (1392-1910) wegen seines Glaubens hingerichtet und 1984 zusammen mit anderen koreanischen Märtyrern heiliggesprochen wurde.

Die Bemühungen von Pater Kim blieben nicht unbeachtet. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den renommierten Ho-Am Preis im Jahr 2014. Auf die Frage, welche Ehrung ihm am meisten bedeutet, strahlt er und erzählt über eine Gruppe Kindergartenkinder, die ihm jüngst ein Bündel abgenutzter 1.000-Won Scheine überreichten, die sie gespart hatten. Eine andere Anerkennung, über die er sich besonders freute, ist die ihm 2015 per Präsidentenerlass verliehene koreanische Staatsbürgerschaft. Schon lange vor seiner Einbürgerung hatte er beschlossen, für immer in Korea zu bleiben; er unterschrieb sogar die Zustimmung zur postmortalen Organspende.

„Ich bin Koreaner, kein Ausländer“, sagt er. „Wenn man sich verliebt, gibt es keinen Grund dafür.“

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Täglich um 13.00 Uhr versammeln sich Freiwillige im Kellergeschoss von Anna’s House, um Lunchboxen vorzubereiten. Das Einpacken von Reis, Beilagen, Suppe, Brot, Konserven etc. muss schnell gehen. Pater Kim (ganz rechts) hilft stets mit.

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Ab 15.00 Uhr verteilen Pater Kim und seine Helfer die Lunchboxen an Obdachlose, die vor der Seongnam Kathedrale gegenüber von Anna’s House Schlange stehen. In zwei Stunden werden über 700 Esspakete ausgeteilt

Cho Yoon-jung Freiberufliche Schriftstellerin, Übersetzerin
Fotos Heo Dong-wuk

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