메인메뉴 바로가기본문으로 바로가기

On the Road

2023 AUTUMN

Koreanischer Geist in Seosan

Als 2021 das Youtube-Video Seosan – Mud Max erschien, war die Begeisterung groß. Es handelt sich um eine Parodie auf Mad Max: Fury Road (2015). Während im Film frisierte Trucks die Wüste durchpflügen, knattern auf Youtube jedoch Traktoren durch eine Wattlandschaft – eine äußerst humorvolle Art, die Meereslandschaft von Seosan, Chungcheongnam-do, zu präsentieren. Das macht Lust auf mehr. Lassen Sie uns also aufbrechen in die herrliche Herbstlandschaft von Seosan.

간월암7.png

© Stadt Seosan



Seosan und seine Umgebung ist von den im Koreanischen als „Naepo“ bezeichneten kleinen und großen Gezeitenkanälen geprägt, die bis tief ins Landesinnere reichen. Dies weist auf einen großen Tidenhub hin und tatsächlich beträgt der Gezeitenunterschied in der Garorim-Bucht nördlich von Seosan durchschnittlich 4,7 Meter und der maximale Tidenhub liegt sogar bei 8 Metern. Ähnlich verhält es sich in der Cheonsu-Bucht im Süden von Seosan.


Schätze aus dem weltgrößten Tidenhub

KENN0385.jpg

Die Brücke Yudu-gyo verbindet die Insel Ung-do mit dem Festland. Die 600 Meter lange Brücke verschwindet bei Flut und ist daher ein beliebtes Touristenziel. Im Rahmen eines Projekts zur Wiederherstellung des Ökosystems soll sie 2025 abgerissen werden.

Der Tidenhub an der Küste in und um Seosan, der weltweit zu den größten gehört, sorgt für reichhaltige marine Ressourcen. Besonders die Garorim-Bucht, die 2016 zum ersten Schutzgebiet für Meereslebewesen und zum 25. Meeresschutzgebiet erklärt wurde, weist einen solchen hohen Grad an Artenvielfalt und Sauberkeit auf, dass die Fläche des Schutzgebietes 2019 auf 92,04 km2 erweitert wurde.

Auch das Video Mud Max entstand an dieser Bucht, auf dem Ojiri-Wattgebiet. Bei Flut lassen sich an dieser Stelle Fische wie Gefleckte Pazifikheringe und koreanische Felsenfische fangen. Bei Ebbe hingegen gibt das Meer unendliche Watt-Weiten frei, auf denen die meisten Gamtae-Braunalgen Koreas, aber auch verschiedene benthische Tiere wie Bajirak-Teppichmuscheln und Gemeine Herzmuscheln gesammelt werden. Im Herbst steht nach alter Tradition die Langarm-Oktopus-Saison an, die bereits im Annex Geographie der Annalen von König Sejong (1454) dokumentiert wurde. Selbst Papst Franziskus wurde diese Delikatesse anlässlich seines Korea-Besuchs 2014 serviert und sie schmeckte ihm so gut, dass er zweimal um Nachschlag bat.

Möchte man einmal sehen, wie Fischer die Oktopusse fangen, begibt man sich am besten nach Jungwang-ri, südlich des Ojiri-Wattenmeers. Dort sucht man den matschigen Untergrund zunächst nach Atemlöchern der Oktopusse ab. Die so lokalisierten Tiere werden mit Garae, einem kleinem spatenartigen Werkzeug, ausgebuddelt, wobei man bis zu einem Meter tief graben muss. Während der Hochsaison im Herbst kann man überall in der Garorim-Bucht sein Glück selbst versuchen.

Auf der Insel Ung-do, zwischen Oji-ri und Jungwang-ri, kann man Zeuge eines besonderen Naturschauspiels werden. Zweimal am Tag teilen die Gezeiten hier das Meer und geben den Weg zu dem etwa 600 Meter entfernten Festland frei, bis die Flut einsetzt und sich die Passage wieder schließt. Noch lässt sich dieses Phänomen ungetrübt bewundern, doch bis 2025 soll eine Brücke Insel und Festland verbinden, wodurch etwas von dem Charme der Natur verloren gehen dürfte.

 

Ein Bollwerk zum Schutz der Gemeinschaft

0J2A8617.jpg

Die Garorim-Bucht nördlich von Seosan bietet den Bewohnern reiche und vielfältige Meeresressourcen.

Ein Meer voller Reichtümer ruft jedoch auch Neider auf den Plan. Lange Zeit hatten die Küstenbewohner deshalb unter Piraten-Angriffen zu leiden, vor allem auch deshalb, weil sich zwischen Meer und Bergen weiter östlich auch großflächig angelegte, ertragreiche Felder erstreckten.

Zu Beginn des Joseon-Reichs, 1416, wollte man dieser Plage ein Ende bereiten. Während einer Militärübung und eines Jagdturniers nördlich der Cheonsu-Bucht beschloss König Taejong (reg. 1401 – 1418), das östlich des Berges Dobi-san gelegene Haemi-Gebiet zu einer Verteidigungsanlage gegen Piraten umzurüsten.

Dem Entschluss folgten bald Taten. 1417 begann der Bau einer Festung, und bereits vier Jahre später waren die Arbeiten abgeschlossen. Anschließend verlegte man das Chungcheong-Oberkommando der Armee für den zentralen Teil des Landes nach Haemi, um neben dem Land auch das Meer zu verteidigen. Seosan, Hauptbezugsquelle für Nahrungsmittel der koreanischen Halbinsel, wurde also zugleich vorderste und letzte Verteidigungslinie im Kampf um das Wohlergehen aller.

0J2A8733.jpg

In Haemieup-seong, einer der am besten erhaltenen Festungsanlagen des Landes, sind noch Relikte aus der Zeit der Katholikenverfolgung erhalten. Entlang der Festungsmauer wurden zur Abwehr der Feinde dornige dreiblättrige Orangenbäume gepflanzt. Daher der Spitzname „Dreiblättrige Orangenfestung“.



Die sich auf 1,8 Kilometer erstreckende, gewaltige Festung Haemieup-seong im Herzen des Bezirks Haemi-myeon zeugt mit ihren fünf Meter hohen Mauern und ihren zwei Chi-Türmen von der Imposanz der Wehranlagen jener Zeit. Das chinesische Zeichen „Chi“ bedeutet „Fasan“. Wenn ein Fasan Gefahr wittert, sucht er sich im Gebüsch ein Versteck und streckt den Kopf heraus, um die Lage zu sondieren. So ragt der Chi-Turm wie ein Sägezahn aus der Mitte der Mauer heraus, um den herannahenden Feind frühzeitig zu entdecken und ihn nicht nur von vorne, sondern auch von der Seite bekämpfen zu können.

Betritt man die Festung, fällt der Blick unweigerlich auf einen wohl 300 Jahre alten Schnurbaum, der von Rekonstruktionen des Amtsbüros des Magistraten, des Gästehauses für Beamte und des Gefängnisses umgeben ist. Steigt man einen kleinen Hügel links des Magistratenbüros hinauf, gelangt man auf seiner Spitze zu dem Pavillon Cheongheo-jeong, einer Rekonstruktion von 2011. Von hier oben bietet sich einem ein Panoramablick auf das gesamte Gebiet, und der nahe gelegene Kiefernwald lädt zu einem gemütlichen Spaziergang ein. Die Festung Hamieup-seong zählt mit der Festung Gochangeup-seong in der Provinz Jeollabuk-do und der Festung Naganeup-seong in Jeollanam-do zu den am besten erhaltenen des ganzen Landes. Ihr ist es zu verdanken, dass den Regionen im Landesinneren eine lange Zeit anhaltender Frieden vergönnt war. Im Gedenken an sie findet nach dreijähriger Coronapause ab dem 7. Oktober wieder drei Tage lang das Seosan Haemieupseong Festival statt. Nach langer Pause wird die diesjährige Veranstaltung mit einer noch größeren Programmvielfalt die Besucher begrüßen.

 

Sehnsuchtsorte der Ruhe und des Friedens
Seosan kann sich auch der langen Geschichte seines kulturellen Erbes rühmen, welches auf einzigartige Weise in Harmonie mit der Natur steht. Zu nennen wären hier der Tempel Gaesim-sa, die in den Felsen gehauene Buddha-Triade und die Einsiedelei Ganwol-am.

KENN0013.jpg

Daeung-jeon, die Haupthalle des Tempels Gaesim-sa, wurde als Wertvolles Kulturgut Nr. 143 registriert und ist für ihre herausragende architektonische Ästhetik bekannt. Daneben lohnt sich auch ein Besuch der Mönchsresidenz Simgeomdang, die sich wunderbar in ihre natürliche Umgebung einfügt.



Der Tempel Gaesim-sa, inmitten dichter Wälder zwischen den Bergen Sangwang-san und Ilak-san gelegen, wurde 654 n. Chr. während des späten Baekje-Reiches erbaut. Aufgrund seiner fast 1.400-jährigen Geschichte und seines ästhetischen Wertes gehört er zu den vier wichtigsten Tempeln der Provinz Chungcheongnam-do.

Bereits der Weg hin zum Tempel hat viel zu bieten, kommt man doch zuerst am Sinchang-Wassereservoire vorbei, einer wichtigen Bewässerungsquelle der Region. An Herbsttagen zu früher Stunde hat sich nicht selten ein Nebel über den Stausee gelegt, was dem Ort eine geheimnisvolle Stimmung verleiht. Am Haupteingang, dem Iljumun (Tor mit einreihigen Säulen), angekommen, verläuft ein rund 500 Meter langer Waldweg bis zum Tempel. Am Ende des Pfades stößt man als erstes auf eine schmale Holzbrücke aus einem halbierten Baumstamm, der über einen rechteckig angelegten Teich führt. Eine Steintafel mit der Inschrift „Gyeongji“ (wört.: Spiegelteich) lädt zum Blick auf die Reflexion des eigenen Selbst im Wasser und zur inneren Einkehr ein. Dies steht im Einklang mit dem Namen des Tempels, der bedeutet: „Öffne dein Herz und wasche dich rein von allen weltlichen Sorgen“.

Der Tempel verzichtet auf jeglichen Prunk, und gerade das macht ihn so besonders. So handelt es sich bei dem sitzenden Amitabha Buddha, wie aus Aufzeichnungen des Jahres 1280 hervorgeht, um einer der ältesten hölzernen Buddha-Statuen Koreas. Die Haupthalle Daeung-jeon hat sein anmutiges Erscheinungsbild von seinem Restaurierungsjahr 1484 bis heute erhalten.

Das bemerkenswerteste Gebäude der Anlage ist wohl das Gebäude Simgeomdang, die Residenz der Mönche. Es wurde etwa zeitgleich zur Haupthalle restauriert, nur dass später noch eine Küche an der Seite hinzugefügt wurde. Besonders ins Auge fallen die Säulen aus krummen Baumstämmen, die, als wollte man der Natur auf keinen Fall zu nahetreten, nur die nötigste Bearbeitung erfahren haben. Da sie nicht mit kräftigen Dekorfarben bestrichen wurden, sind die vielen feinen Risse im Holz, Zeugen einer langen Geschichte, gut erkennbar. Harmonisch in die Herbstlandschaft eingebettet, fügt die Residenz der Erhabenheit des tausend Jahre alten Tempels eine Atmosphäre schlichter Gemütlichkeit hinzu.

 

KENN0394.jpg

Die Buddha-Triade in Yonghyeon-ri wurde zwischen dem späten 6. und frühen 7. Jh. in den Felsen gehauen. Besonders faszinierend ist das Lächeln des Buddhas, das je nach Winkel der Sonnenbestrahlung eine andere Gemütslage vermittelt.



Am Fuße des Berges gegenüber dem Tempel befindet sich das Relief einer Buddha-Triade, das in einen riesigen Felsen gehauen ist und ebenfalls durch seine Schlichtheit besticht. Die Buddhas haben nichts distanziertes, vielmehr wirken sie wie schelmische Freunde aus der Nachbarschaft. Faszinierend ist auch, wie sich ihre Stimmung im Laufe eines Tages zu verändern scheint. Grund dafür ist wohl die besondere Tiefe des Reliefs und die Ausgeprägtheit der Gesichtszüge, die je nach Winkel der Sonnenbestrahlung eine andere Gemütslage vermitteln. Dass die Triade nach fast 1.500 Jahren Verborgenheit erst 1959 entdeckt und zum Nationalschatz erklärt wurde, steigert noch ihre Besonderheit. Nicht von ungefähr werden sie daher als das „Lächeln von Baekje“ bezeichnet.

Ein weiterer Ort, den man nicht verpassen sollte, ist die Einsiedelei Ganwol-am, die ebenfalls Platz im Mud Max-Video fand. Beheimatet ist sie auf Ganwol-do, der südlichsten Insel von Seosan, in der Cheonsu-Bucht. Wie die Insel Ung-do ist die Insel bei Ebbe zweimal am Tag zu Fuß erreichbar, da ein etwa 30 Meter breiter Weg freigelegt wird. Der einzige Unterschied zu Ung-do ist nur, dass hier bei Flut mit einer kleinen Holzfähre übergesetzt werden kann. Vollständig von Wasser umspült, ähnelt die Insel einer Lotusblume, weshalb sie auch Yeonhwa-dae (wörtl: Lotussockel) heißt. Unabhängig von den Gezeiten ist es ein malerischer Ort, dessen ruhige, friedvolle Stimmung umso mehr zur Geltung kommt, wenn sich die Abendsonne auf ihn legt.

 

Ein Staudammprojekt als Spiegel koreanischer Geschichte

Der Tempel Gaesim-sa, die Buddha-Triade und die Einsiedelei Ganwol-am bestechen nicht durch Prunk. Was sie vereint, ist der tiefe Wunsch der Vorfahren nach Frieden und Wohlergehen, der durch sie zum Ausdruck kommt. Das Meer hatte viel zu geben, verlangte denen, die von ihm lebten aber auch viel ab. Zudem gab es in vormodernen Zeiten noch Piraten, die den Frieden der Gemeinschaft störten.

Trotz dieser Herausforderungen ließen sich die Menschen in Seosan, aber auch die Koreaner im Allgemeinen nie unterkriegen und versuchten stets voranzuschreiten. So konnten sie selbst die Verwüstungen des Landes infolge des Koreakriegs überstehen, Diktaturen besiegen und aus eigener Kraft die Demokratie erringen. Es lohnt sich in diesem Kontext, sich den Bezirk A des Seosan-Deiches östlich der Einsiedelei Ganwol-am etwas näher anzuschauen, dessen Fertigstellung ganze 15 Jahre und 3 Monate dauerte. Die Kraftanstrengung, die dieser Bau erforderte, ist ein Sinnbild für die zähe Ausdauer, nicht nur auf die Menschen der Region Seosan bezogen, sondern auch auf Korea und die Koreaner insgesamt.

Schon von Anfang an stellte der extreme Tidenhub vor Ort den Bau vor große Herausforderungen. Selbst Felsbrocken so groß wie Kraftwagen wurden von der starken Strömung von über acht Metern pro Sekunde weggeschwemmt. Der Bau war ein gewaltiges Unterfangen. Doch dann hatte der ehemalige Vorsitzende von Hyundai Construction, Chung Ju-young (1915 – 2001), der für das Projekt verantwortlich war, eine Idee.

Er ließ einen 230.000 Tonnen schweren schwedischen Öltanker, der verschrottet werden sollte, versenken, um den letzten Abschnitt des Deiches zu schließen. Der Plan ging auf, und als sich die Strömung verlangsamte, konnte das Projekt abgeschlossen werden. Mit der Fertigstellung des 7,7 Kilometer langen Deichs entstanden mehr als 10.000 Hektar Ackerland, die ein Prozent der damaligen landwirtschaftlichen Gesamtnutzfläche Koreas ausmachte. Es bildete die größte Einzelfarm der Welt, auf der so viel Reis angebaut werden konnte, dass man 500.000 Menschen ein Jahr lang ernähren konnte.

Mit seinem sauberen Meerwasser, seinem Wattenmeer reichhaltig an Meeresprodukten und seinen Bollwerken zur Sicherung der Gemeinschaft bietet Seosan nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch einen Einblick in das Korea von heute: Angefangen bei seinen Bewohnern, die zwar aus den reichen Meeresressourcen schöpfen können, dabei aber nicht vergessen, sich für Nachhaltigkeit einzusetzen, über den Einsatz für das Gemeinwohl, wie es durch die Festung Haemieup-seong und das buddhistische Kulturerbe gezeigt wird, bis hin zum Geist des koreanischen Volkes, der sich in der Fertigstellung des Deichs widerspiegelt. Ein von angenehmer Herbstsonne beschienener Tag in Seosan ermöglicht es, die Gegenwart Koreas aus der Perspektive seiner Vergangenheit zu betrachten.

 

ontheroad_en.png

 



Kwon Ki-bongSchriftsteller
Fotos Lee Min-hee

전체메뉴

전체메뉴 닫기